
Als die Frau an der Pforte vorbeilief, hatte sie Mutter zugerufen, dass die Leute beim Fleischer anstehen. Ein Pferd. Ein russisches Pferd war bei den Kämpfen auf der Chaussee weiter nördlich umgekommen.
Anna hatte Foffie an der Hand, ihr Haar unter einem grauen Tuch versteckt, unterwegs zur Ecke. Als sie ankommen, ist die Strasse von Militärfahrzeugen verstopft, Lastwagen, laut hupend, voller singender Soldaten, kahlgeschoren, Pferdewagen, Leiterwagen, alle auf dem Weg in die Innenstadt und dem Sieg entgegen, in Feindesuniform, braun, nicht feldgrau.
“Wo fahren sie denn hin?” fragte Foffie.
“In die Stadt, ganz weit in die Stadt.”
“Warum?”
“Weil sie da noch kämpfen.”
“Und wann dürfen sie wieder nach Hause?”
“Tja, Onkel Heyn sagt, dass sie wohl erst wieder abziehen, wenn du schon gross bist.”
“Anna? ANNA!”
Sie sucht die Strasse ab, blickt in die Richtung, aus der die Stimmen kommen. Langsam bewegen sich drei Menschen auf dem Fahrradweg neben der Chaussee auf sie zu. Dick verbundene Köpfe, Schultern, einer auf Krücken, lehnen sie sich jetzt gegen die Mauer der verlassenen ARAL Tankstelle. Anna und Foffie rennen hinüber. Müde Augen blicken ihnen zwischen den Verbandstreifen entgegen.
“Ede?” rät Anna, mit Blick auf den grössten der drei.
“Nein, Ede gibts nicht mehr,” sagt Motz. “Ich bins, in Verkleidung. Aber sie haben mein Bein erwischt. Oder die beiden Kumpel hier wären schon zu Hause.” Er sieht die Kameraden an.
“Du kennst ja Gustav. Der kommt mit zu mir nach Hause, und-”
“Natürlich, Gustav!” Anna tritt auf ihn zu. Er gibt ihr seine gute Hand, die linke und murmelt irgendwas, dann fragt er,
“Was machst DU denn hier? Sowas gibt’s doch gar nicht!”
“Na, ich wohne doch hier, da die Strasse runter. Aber wer ist denn der hier?” Anna streckt die Hände aus.
“Na, Ulli’, sagt Motz.
“Ulli! Wie ist es, was-”
Seine Augen sehen sie unverwandt an, aber es kommt keine Antwort.
“Also Ulli, der wird ‘ne Weile nicht reden.”
“Oh Ulli,” und Anna umarmt sehr vorsichtig den sich sträubenden Freund.
“Es wird ‘ne Weile dauern bis er wieder spricht. Kopfverletzung, du weisst schon. Aber er hört alles, hat der Arzt gesagt.” Motz streichelt Foffies Haar, und Foffie umarmt das heile Bein.
“Normalerweise würde ich dir ja mal meine Krücken anbieten, Piccolino, so zum ausprobieren, aber ich brauch sie selber, damit ich nicht platt auf’n Bauch falle,” sagt der.
Anna muss erst alles einordnen. Sie sieht sich um.
“Wir sind unterwegs zu dem Fleischer da drüben. Wisst ihr was? Ihr solltet euch auch anstellen. Ihr braucht ja keine Marken. Sagt einfach, ihr wohnt in unserer Strasse, Ehlertstrasse 294. Könnt ihrs schaffen?”
“Ich schlage vor, der Stammhalter bleibt hier und unterhält Ulli, und Gustav und ich kommen mit, Fleisch fassen, ja?”
“Wir haben aber kein Geld,” sagt Gustav.
“Ich hab’ genug,” sagt Anna, “es ist sowieso wertlos. Sie werden bald neues drucken. Aber könnt ihr hier rüber, gehts?” Motz nickt.
Die Rotarmistin, die den Verkehr regelte, einen blutig verschmierten Verband in der Schlinge, machte einige Schritte hinein in die Chaussee, hielt die Hand hoch und gebot der siegreichen Armee Halt, um sie und einige ihrer Soldaten hinüberzulassen. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Am Morgen hatten Anna und Nadja durch das Dachfenster eine kleine Kolonne offener Militärfahrzeuge beobachtet, in denen Kadetten in Uniform auf Längsbänken sassen, die nicht älter als zehn oder elf Jahre alt sein konnten. Was um Himmels willen haben wir diesen Menschen nur angetan, denkt Anna jetzt, tief erschrocken beim Anblick einer verwundeten Frau in Uniform. Wir haben ihr Land ohne Grund besetzt, haben ihnen Tod und Zerstörung beschert und ihr Leben für immer verändert. Wie können wir das je wieder gut machen. Wie kann ich nur hoffen, etwas zu tun, zu heilen?
Und diese drei. Sind sie nicht auch für immer gezeichnet, von demselben Geschehen? Sie blickt Motz an, der sich unter sichtlichen Schmerzen über die Strasse quält, und fragt sich, warum er nicht bei Ulli geblieben ist, sich auszuruhen. Gustav ist neben ihr, als sie ängstlich die rasch wachsende Schlange beim Fleischer beobachtet, eine lange Schlange schubsender, schiebender Menschen. Die Tür wird von einem kleinen Soldat mit einem sehr langen Gewehr über der Schulter bewacht.
“Ein Pfund pro Familie,” sagt ein Mann in der Schlange und mustert Gustav und Motz mit Misstrauen. “Da ist genug für alle, und überreichlich für den Schlachter.” Aber viele Leute stehen noch hinter ihnen an.
“Motz, ich sollte nicht jetzt fragen, aber was ist mit Ede? sagt Anna. Motz sieht hinauf in die Baumkronen, schüttelt den Kopf.
“Kommt nicht wieder,” sagt Gustav schliesslich, “hat’s nicht geschafft, und die andern auch nich. Wir sind die Glückspilze, siehste ja.”
Anna lässt ihre Jutetasche fallen und bedeckt das Gesicht. Die Stimmen hinter ihnen verstummen. Eine Hand legt sich auf ihre Schulter, dann die Worte eines älteren Mannes, “Wie wärs, wenn wir die Jungs hier nach vorne lassen? Der eine läuft auf Krücken.” Niemand rührt sich. Eine Frau dreht sich um und zischt,
“Ich kann kaum selbst auf meinen Füssen stehen…” Dann, weiter vorn,
“Die Jungs mussten ja unbedingt Helden spielen, oder der Krieg wär’ schon längst vorbei…” Jemand, eine andere Frau, schlägt der Sprecherin mit der flachen Hand übers Ohr, dann tauscht sie ihren eigenen Platz mit Gustav und Motz . Sie bedanken sich und rutschen nach vorn. Anna ist feuerrot geworden. Wo sind plötzlich diese entsetzlichen Menschen hergekommen?
Aus der Schlange kommt keine weitere Reaktion auf das Geschehnis. Motz dreht sich nach ihr um.
“Und wie ist es denn euch ergangen, Mädchen?” fragt er.
“Gar nicht so schlimm,” sagt sie, “viel glimpflicher als anderen jedenfalls. Aber ich kann jetzt nicht drüber reden.”
Hinten im Laden sieht man einen Teil des Pferdekopfes durch die halb offene Tür. Annas Magen dreht sich. Gut, dass Foffie das nicht sieht.
“Genau wie Rindfleisch kochen,” sagt der Fleischer immer wieder. Seine Frau an der Kasse gibt Wechselgeld heraus.
“Haste was von Lilly und Emma oder Lotte gehört?” fragt Gustav.
“Sie ist bei uns angekommen, als die Panzer draussen vor dem Haus vorbeirumpelten, hat gar nicht gleich gemerkt, dass es Russen waren! Mit ihren dunklen, gesteppten Lederkappen. Emma, meine ich. Wir hatten uns nachts verabredet, wollten uns um zehn bei mir treffen und in die Stadt.” Anna hält inne. “Ich weiss nicht, ob sie heil nach Hause gekommen ist. Ich hab’ sie gar nicht gesehen. Meine Mutter - plötzlich gabs’ an der Ecke einen Stau, und all die Panzersoldaten sprangen ab und drängten in die Häuser.”
“Oh Mann,” sagt Gustav. “Wir haben vier davon in die Luft gejagt, von den Panzern.”
“WAS? Ihr habt vier PANZER geknackt?” Annas Stimme ist bis zum Ende der Schlange zu hören.
“Ja,” sagt Motz leise. “Ede, Ulli und ich ham vier erledigt, das heisst, einen davon Axel, und jetzt muss ich sagen, bin ich ganz froh.” Er arrangiert seine Krücken.
“Wir hätten vielleicht noch mehr geschafft,” sagt Gustav, “bloss sind wir ja nicht bis an die Panzergräben gekommen. Die hatten se schon überrollt, warteten im Dunkeln auf uns. Ham die andern gleich von den Rädern geknallt, weiter vorn, tacktacktack, auf dem Waldweg. Ich war ganz am Ende und hab mich fallen lassen, in so’ne Delle mit Büschen drum rum. Und Christian ist auch noch reingerollt. Axel hat gleich eins abgekriegt, Schulterschuss, glaub ich, aber er konnte hinter so ‘ner Bodenwelle Deckung nehmen, links von uns. Die haben immer mit Maschinengewehr reingehalten. Dann, als se dachten, sie hätten uns alle — ja, Ehlertstrasse 20, bitte, vierköpfige Familie,” und Gustav hält das Geld hin, dann Motz und Anna.
“Genau wie Rindfleisch kochen,” sagt der Fleischer wieder, “leider sehr mager, kein Fett dran.” Die Leute treten zur Seite, um Motz mit seinen Krücken durchzulassen und die drei verlassen den Laden.
“Ich muss wo sitzen,” sagt Motz jetzt, “mein Bein meckert wieder.” Sie schieben sich an wartenden Lastern namens ‘Dodge’ vorbei und setzen sich auf die Bank an der alten Bus Haltestelle.
“Vorzugsplätze bei der Siegesparade , erste Loge,” sagt Motz, rutscht herum und zieht laut Luft durch die Zähne.
“Schnellstens muss ich das Gebein ins Krankenhaus bringen, oder ich werd’s noch los.”
“Der russische sanitäter hat aber gut deutsch gesprochen,” berichtet Gustav, “und die haben ihr Bestes getan, nach ihren eigenen Verwundeten, versteht sich.”
“Tja,” sagt Motz, “erst ballern se uns in Klump und denn-”
“Naja, wir haben ja auch ‘n paar Löcher in ihre Panzer — ham ganz schön Schaden angerichtet. Die haben ‘nen Haufen Kerle aus’m Wald gebracht, der ihre, unsere, mehr tot als lebendig,” sagt Gustav. Er guckt Motz und Anna an.
“Ich werd’ mal wieder rübergehn. Mal nachsehn, wie’s mit Ulli und deiner Schwester steht.” “Bruder. Lass das Fleisch hier. Ich brings nachher.” Sie nimmt Motzes Arm.
“Das tut mir so weh mit Ede. So traurig. Er und du, ihr beide.”
“Er war mein bester Freund,” sagt Motz, “wir haben im Park im Sand gespielt. Lass uns ‘n andermal drüber reden, Anna.” Sie nickt.
“Dass die euch haben gehen lassen, einfach so,” wundert sich Anna.
“Na, ist doch klar, dass wir nicht in Kondition sind, den nächsten Krieg loszulassen, oder? Sie wollten genau wissen, wo wir hin wollen, in Berlin. Haben ihre Karten da gehabt. Offensichtlich ist in unserer Ecke alles vorbei. Hoffentlich steht se noch.”
“Ich kann immer noch nicht fassen, dass ihr uns da drüben gesehen habt. Zwei Minuten später, und wir hätten uns nie wieder gesehen, hätten nix erfahren.”
“Sei mal ehrlich. Ihr Mädels habt doch nicht erwartet, einen von uns wiederzusehen, oder?”
“Na nein, ich meine, wir konnten’s nicht ertragen, waren zu feige, darüber nachzudenken, aber du hast recht, wir hatten’s nicht wirklich, wagten nicht zu hoffen, wir wollten zwar.”
“Ich weiss ja. Die Sache war doch die, wie wir da rauskommen und die ganze Kiste is sofort im Eimer, alles was se uns eingebleut haben an Strategie und so, wir wussten nich, was wer machen sollten, hatten keine andre Platte druff und lachhafte Waffen. Maschinengewehre, Handgranaten hätten wir gebraucht, irgendwas! Der ganze Wald wimmelt von Infantrie und wir - kannste Dir vorstellen, wie nah son Panzer ranfahren muss, dass de an ‘nen Bauch kommst? Mit ‘ner Panzerfaust? Der Leutnant hat immer von 25 bis 30 Metern gefaselt — wir warn im WALD. Da steh’n Bäume im Weg, und krachen auch noch runter, wir ham se viel näher kommen lassen. Und denn, wenn de Glück hast, denn fliegen dir allerlei Eisenwaren um die Ohren, und denn kommt immer noch einer und immer noch einer. Langsam, aber die kommen. Gleich am Anfang ham wir ja den Anschluss an die andern verloren. Wir hatten das Theater mit Edes Radkette.”
“Ja, ich weiss noch.”
“Na, und denn kommen wir hinterher, bis an die Weggabelung, wo die andern nach links eingebogen sind, wor wir immer nach links eingebogen sind zu den Gräben. Wir konnten sie nicht mehr sehen und auch nichts hören, und auf einmal geht ein Höllenlärm los. Ede schreit, ‘Los, nach rechts, zu dem Baum da.’ Der war umgefallen, und es war die beste Idee, denn wir warn die einzigen, die sie nicht überrascht haben, ham uns nicht gesehn, und wie wir uns in den Baum verkrochen haben, geht das Geknatter los, links von uns, und es war nicht wie im Kino. Na, wir ham uns hingeschmissen und sind in die Äste gekrochen mit all den Blättern, Ede vor mir, bisschen ausser Schuss, und Ulli hinter uns im Wurzelloch. Wir mussten ganz still liegen, konnst nichts sehen, aber wir war’n so nah der Wegkreuzung.”
Motz bewegt sein heiles Bein hin und her, und auf einmal gibt es vor ihnen lauten Streit, russische Stimmen schreien, ein Mann wird in einen Laster gedrängt, gefolgt von einem Soldaten, und die Rote Armee fährt in langen Konvoys weiter in die Stadt, Berlin noch immer unter Beschuss. Sie können Gustav und Ulli nicht erkennen zwischen den Fahrzeuglücken, aber für Momente sehen sie einen sehr aufgeregt herumspringenden blonden kleinen Jungen.
“Wie die Panzer den Weg entlangrasseln, die kennen natürlich Panzerfäuste. Niemand mit ‘nem Gramm Verstand würde sich mitten auf’n Weg packen und untern Bauch halten. Die sind von den Büschen weggeblieben, aber auf einmal hat der zweite so etwas gedreht, und da stand er wie für Ede geschaffen. Ich hab immer nach kleinen Leuten mit langen Flinten gekuckt, aber warn keine. Haben sich zurück gehalten. ‘Los, Ede,’ hab ich geflüstert und er hat abgedrückt als ob er mich gehört hätte. WUUUUMMMMMMM. Wahnsinn. Na, wenn de viel Krach machst, fällste auf, und gleich kommen zwei andere angerasselt, langsam aber sicher. Ich bin zur Seite gekrochen, der erste dicke Käfer denkt sich, die sind in dem Baum. Ich weiss auch nicht, ob der erste Feuerstoss gleich den Ulli erwischt hat, der rauchende Kloss war da und er konnte sicher nichts sehen. Und denn kommt einer so um den rum und ich wackel an Edes Schuh und sag, “der da ist für mich,” und zieh ab, und WUUUUMMMMMM. ‘Nen Moment lang dachten wer, die kommen oben aus der Luke, aber es geht auf und zu, Rauch.” Motz arrangiert das schlimme Bein.
“Entschuldige erstmal, was hast du eigentlich am Kopf?” fragt Anna.
“Nichts. ‘Ne Attrappe. Hat ‘n deutscher Sani in Hohen Neuendorf gemacht,” sagt Motz. Anna staunt.
“Naja, und denn ham wer auf einmal weiter drüben die Kumpels gehört. WUUUUUMMMM, WUUUUUMMMMM. Gustav sagt, Axel hätte einen nicht weit von ihnen erwischt. Wir warn erleichtert, die zu hören, irgendjemand, und ich bin vorgekrochen und hab’ Edes Schuh zu fassen gekriegt, und er wackelt zurück. Und dann kuck ich hoch, alles voller Rauch inzwischen, und da kommt einer von der Weggabelung direkt auf unsern Baum zu, vielleicht zwanzig Meter entfernt. Ich leg’ die zweite Panzerfaust über die Schulter, und will eben feuern, da ist schon der Teufel los. Ulli war fünf Sekunden schneller, aber diesmal dreht der Turm, die Kanone zielt direkt auf uns, und — nichts. Der fängt gleich an zu rauchen . Erstmal kampfunfähig.
Ich bin wirklich erstaunt, dachte nie, dass Ulli abdrücken würde. Aber jetzt sind wir dran, liegen unter Feuer. Ich ruf Ede, aber keine Antwort, und gleich danach merk ich, dass mich was am Bein erwischt hat.”
Motz verstummt. Vor ihnen rollt die rote Armee in die Innenstadt, immer mehr Laster, mehr Pferdewagen.
Anna legt ihre Hand auf seinen Arm.
“Weisst du eigentlich, dass du einen Kameraden mit nach Hause nimmst, der eines Tages ein Gedicht, oder einen ganzen Band darüber schreiben wird, was euch geschehen ist? Er ist so—”
“Er ist schwer angeschlagen. Und er kommt nicht zu mir nach Hause. Er will zu einer Adresse, einem Lehrer oder was. Gustav kommt mit mir. Fürs erste.”
“Wollt ihr erstmal alle mit zu mir, Wasser mitnehmen, habt ihr Brot? Richtig ausruhen?”
“Nein, Anna, wir müssen weiter. Wir haben ausgerechnet, wir brauchen um sechs Stunden bis nach Hause. Wir können ja nicht mit dem Taxi fahren.”
“Meinste, wir sollten hier draussen nach einem Arzt suchen, Hansis Klinik? Wie wär’s damit?” sagt Anna.
“Es ist zu unsicher. Ich glaub ich weiss, wo ich das Bein hinbringe, und die beiden andern Kumpels. Falls das Krankenhaus noch steht.”
“Um zehn ist Curfew. Lass uns wieder rübergehen. Habt Ihr Wasser?”
“Gustav hat was. Wir kommen rum.”
Ein weiteres mal teilte die Russin das Rote Meer für sie, tat stumm ihre Pflicht. Dann umarmten sie sich vorsichtig, Anna streichelte Verbände, legte ihre Finger an Ullis Gesicht, drückte fest die Hände, und sie und Foffie winkten lange den schwankenden Gestalten nach, Motz’ Krücke in tragikomischer Geste gen Himmel gestreckt. Dann drehte sich Motz nochmal um und winkte Anna. Sie lief ihnen nach.
“Jetzt kann ich’s ja gestehen: Mein Name is Maurice,” sagte er bewusst verschämt.
“Den finde ich schön, sehr schön sogar,” sagte Anna. “Wie biste zu dem gekommen? Ist ja auch egal.”
“Mein Onkel fand, sie sollten mal was Gediegenes nehmen. Naja.” “Aber ‘Motz’ passt am besten zu Dir,” sagte sie und drehte um.
“Es war irrsinnig bukolisch hier draussen,” hatte Motz gesagt, die Augen unter dem Verband halb geschlossen. “Ich freue mich auf die Berliner Luft, paar ehrliche Ruinen, Rauch. Machs gut.”
Und sie wanderten auf Nimmerwiedersehen davon.
“Was sind Ruinen?” hatte Foffie gefragt. Und sie hatte es ihm erklärt, aber sie dachte an Ulli, Ullis Augen. Es war, als hätte er sich in sie zurückgezogen.